„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit.“

So will es die UN-Menschenrechtscharta seit 1948. Doch Papier ist bekanntlich geduldig und so gibt es derzeit geschätzt etwa 10 Millionen Menschen, die keine Staatsangehörigkeit haben. Sami Bekir und seine Geschwister gehören dazu. Staatenlosigkeit ist oftmals ein Resultat der Auflösung eines Staates, hier der Bundesrepublik Jugoslawien. Die Begründung neuer kleiner Nationalstaaten bedeutete vor allem für Angehörige der Romaminderheit ein Problem, denn an dem brutalen Bürgerkrieg der ethnischen Gruppen um Staatsterritorien haben sie sich nicht beteiligt. Der Vorsitzende des Roma National Congress (RNC) Rudko Kawczynski verdeutlichte bereits 1996: „Von Rückkehr zu sprechen ist dummes Zeug, Roma können nicht nach Jugoslawien zurückkehren, weil es Jugoslawien nicht mehr gibt. Sie waren Roma in Jugoslawien, eine Nationalität in dem Vielvölkerstaat. Wie wir alle wissen, hat in die­sem selbstzerfleischenden Bürgerkrieg jede ethnische Gruppe mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln um ein Stückchen Land gekämpft und versucht, sich so weit wie möglich von den anderen abzugrenzen. Jetzt davon zu sprechen: Roma gehören in die Nachfolge­staaten, ist paradox.“(1) Ihre Häuser und Geschäfte wurden in diesen Bürgerkriegen angezündet, ihr Hab und Gut wurde gestohlen und viele flohen in den 1990er Jahren unter anderem in die Bundesrepublik Deutschland. Diese Menschen mussten damals um ihr Leben fürchten und sind nach den Staatsgründungen natürlich aufgrund des Rassismus und im Speziellen dem Antiromaismus von den neuen Verwaltungsbehörden weggeschickt worden. De facto wurden sie staatenlos und sind das seit nunmehr fast 20 Jahren.

Dieses Problem ist in der BRD seit den 1990er Jahren bekannt und wurde nie gelöst. Zum einen wurden Roma per Verwaltungsakt in Deutschland einem der Nachfolgestaaten Jugoslawiens zugeordnet, zum Beispiel indem die Geburtsorte der Personen ermittelt worden sind. „Wir haben ein Unikum in der neuen europäischen Ge­schichte. Verfolgung wird durchgeführt durch die Zu­ordnung von Staatsangehörigkeiten, um die Menschen abzuschieben“ (Rudko Kawcynski). Dass ein Geburtsort keineswegs in irgendeiner Beziehung zu einer Staatsangehörigkeit steht, müsste deutschen Behörden allerdings vertraut sein, denn hier geborene Kinder erhalten keineswegs die deutsche Staatsangehörigkeit qua Geburt.

Mit den entsprechenden Problemen. Für viele ist die Angehörigkeit zu einem Staat mit allen Rechten und Pflichten, die damit verbunden sind, eine Selbstverständlichkeit. Staatenlosigkeit bedeutet, dass es keinen Staat auf der Welt gibt, der für diese Rechte bürgt und sich in einer Notsituation um ihn/sie kümmert. Der Status der Illegalität verhindert selbstredend jeden Anspruch auf soziale Unterstützung. Es gibt keine Möglichkeit legal zu arbeiten, keine Möglichkeit zu heiraten, den Führerschein zu machen oder sich gegen Krankheiten und für das Alter zu versichern.

Aus diesem Grund vereinbarte die UNO 1954 ein multilaterales Übereinkommen zur Rechtsstellung von Staatenlosen. Danach ist ihnen in dem jeweiligen Land, in dem sie sich aufhalten, größtmögliche Rechtssicherheit zu gewähren. Auch in Deutschland ist ein Verfahren zur Prüfung der Staatenlosigkeit vorgesehen und auch durch deutsche Asuländerbehörden festzustellen. Wird die Staatenlosogkeit festgestellt, ist eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und einen Reisepass für Staatenlose auszustellen, der dem/der Staatenlosen den Zugang zu den Rechten des Staatenlosenrechts gewährt.(2)

Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen 1976 ratifiziert. Seitdem stellen sich die Behörden allerdings regelmäßig auf den Standpunkt, dass die Staatsangehörigkeit der Person „ungeklärt“ sei und unterstellen im schlimmsten Fall dem/der Betroffenen eine »fehlende Mitwirkung«, was weitere Sanktionen wie die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis nach sich zieht. Ein rechtlicher Kniff, der den Ball in das Feld der Staatenlosen spielt und ihnen weiterhin den Zugang wenigstens zu den Staatenlosenrechten zugesteht. Auf diese Weise hingen viele Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Bundesrepublik auf Kettenduldungen fest. Dies zu ändern war ein Auftrag der Neuregelungen des Aufenthaltsgesetzes. Seit dem Anwachsen neurechter Bewegungen und Parteien, wie PEGIDA und AfD, wird aber vor allem in Sachsen einfach nur abgeschoben.