So beschrieb der kroatische Politikprofessor Vlatko Cvrtila die Lage im so genannten „sicheren Herkunftsland“ Mazedonien im Jahr 2015 (1). Zum einen wird das Land derzeit durch einen massiven Vertrauensverlust in das politische System und die politische Klasse destabilisiert. Zum anderen schwelt weiterhin der Konflikt zwischen MazedonierInnen und der albanischen Minderheit, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmacht.
Korruption, Folter und Wahlbetrug sind aktuelle Vorwürfe der Demonstrierenden an die Regierung. Seit April diesen Jahres gehen die Menschen wöchentlich auf die Straße, um zu Erzwingen, dass die Regierung gegen Geheimdienstmitarbeiter und Angestellte der Regierung ermittelt, die mehr als 20.000 BürgerInnen abgehört und bespitzelt hatte. Zudem wurde bekannt, dass die letzten Parlamentswahlen massiv manipuliert worden seien (2). Deshalb besuchte erst kürzlich, Anfang Juni 2016, ein Sonderbeauftragter des deutschen Außenministeriums Skopje, um für das Glätten der Wogen zu werben und Präsident Ivanov zum Einlenken zu bewegen (3).
„Korruption und autoritäres Gebaren der Regierung haben den einstigen Reformeifer verdrängt. Heute erinnert die Lage unheilvoll an das Jahr 2001, als nur das energische Eingreifen der Vereinigten Staaten, der EU und schließlich der Nato verhinderte, dass aus den Kämpfen zwischen albanischen Freischärlern und staatlichen Sicherheitstruppen der slawisch-mazedonischen Bevölkerungsmehrheit ein ausgewachsener Bürgerkrieg wurde.
Mazedonien, Beitrittskandidat seit 2005, sitzt seit einem Jahrzehnt im europäischen Vorzimmer, doch das Land ist während des langen Wartens auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen nicht reifer und demokratischer geworden, im Gegenteil.“ (4). Manche KoorespondentInnen schätzen das Potential der derzeit andauernden „Bunten Revolution“ in Skopje – auch von seinen negativen Folgen – als ähnlich dem der Maidan-Proteste in der Ukraine ein.
Parallel bricht immer wieder die Kluft zwischen der albanischen Minderheit und der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung auf. Beide wollen in die EU, was jedoch seit vielen Jahren am Widerstand Griechenlands scheitert. Griechenalnd besteht aus nationalistischen Gründen auf einer kompletten Namensänderung des Landes, der Sprache und der Verankerung eines neuen Namens in der Verfassung. Auf diese Weise ist der EU-Beitritt blockiert und mit der derzeitigen Krise in Europa in sehr weite Ferne gerückt. Dem albanischen Teil der Bevölkerung ist der Name des Landes egal, sie wollen in die EU und die NATO und albanische NationalistInnen kämpfen nach wie vor für „Großalbanien“ (5). Immer wieder gibt es Ausschreitungen und Angriffe. Zuletzt griffen albanische Rebellen im Mai 2015 in Kumanovo (30 km westlich von Skopje) die dortige Polizeistation an. Bei den Kämpfen starben 22 Menschen. Auch islamistische Kämpfer sollen an der Seite der albanischen paramilitärischen Organisation UÇK stehen, die bis 2001 auch Mazedonien kämpfte, dann aber offiziell aufgelöst worden war (6).
Besonders dramatisch ist die Situation für Roma und vor allem auch für Romnja und die Kinder. Die Broschüre (7) der Kamapgne „alle bleiben!“ (7) schildert eindrücklich, weshalb sich auch in Mazedonien durchaus davon sprechen lässt, dass Roma in Europa in einem Apartheids-Regime leben. Im Jahr 2014 wurden Folterungen und andere Misshandlungen durch Polizeibeamte bekannt. Überdurchschnittlich häufig waren Roma betroffen. Im Mai desselben Jahres wurden „zwei minderjährige Roma, die fälschlicherweise verdächtigt wurden, eine Geldbörse gestohlen zu haben, von Polizisten der Sondereinheit (Alfi) geschlagen. Das ältere der beiden Kinder wurde zwei Stunden lang auf einer Polizeiwache vernommen, ohne dass ein Anwalt oder die Eltern anwesend waren, und erlitt Verletzungen im Kopf-, Hals- und Brustbereich.“ (8).
Die deutsche Bundesregierung stufte Mazedonien ausgerechnet 2015 als „sicheres Herkunftsland“ ein, zu einer Zeit also, als sich die Situation im Land zuspitzte. Noch ein paar Jahre zuvor war Mazedonien als Beitrittskanditat der Europäischen Union gehandelt worden. Diese Perspektive ist angesichts der aktuellen Situation im Land sowie der derzeit desolaten Lage der Europäischen Union in weite Ferne gerückt. Die Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ ist vor diesem Hintergrund als bloße Abwehrmaßnahme einzuschätzen, die mit einem rechtmäßigen Asylverfahren nichts mehr zu tun hat.